Jun 24, 2023
Wartung 1:1
+ 10 Textbeschreibung der Architekten. Im Rahmen der 18. Architekturbiennale Venedig 2023 richtete der Deutsche Pavillon ein Wiederverwendungslabor ein: mit den Schwerpunkten Pflege, Reparatur und Wartung,
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Textbeschreibung der Architekten. Im Rahmen der 18. Architekturbiennale Venedig 2023 richtete der Deutsche Pavillon ein Wiederverwendungslabor ein: Mit Schwerpunkt auf Pflege, Reparatur und Wartung wurden Restmaterialien aus über 40 Länderpavillons der Kunstbiennale Venedig 2022 sorgfältig gesammelt und in einer Werkstatt gelagert wo diese Materialien überarbeitet und für neue Projekte vorbereitet werden könnten. Unter dem Titel Maintenance 1:1 wurden mehrere Universitäten für jeweils eine Woche eingeladen, mit den verfügbaren Materialien Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die direkt der lokalen Gemeinschaft zugute kommen.
Der 6-tägige Design- und Bau-Workshop „Einen Treffpunkt schaffen“ fand im Campo Sportivo Jacopo Reggio, Lido, statt, einem örtlichen Fußballverein, für den ein zentraler Treffpunkt als geschlossene Terrasse neben einer bestehenden Bar gebaut wurde. Unter der Leitung von Mario Rinke und Alessandro Tellini arbeiteten 18 Teilnehmer der Universität Antwerpen, der ETH Zürich und der Universität Venedig vor Ort und in der Werkstatt im Deutschen Pavillon. Der Workshop war eng mit der örtlichen Gemeinschaft und der bestehenden Materiallandschaft verknüpft und untersuchte die Wiederverwendung von Baukomponenten als neuartiges Material und soziale Praxis.
Gegeben für das Projekt war die filigrane Stahlkonstruktion, die bisher als tragende Stütze für die Zeltkonstruktion der Terrasse diente. Streng nach den Grundsätzen der verfügbarkeitsbasierten Gestaltung analysierten die Teilnehmer zunächst sorgfältig den Materialbestand und reflektierten das architektonische und technische Potenzial in Bezug auf den gegebenen Standort. Darüber hinaus konzipierten sie unkomplizierte Gestaltungsansätze für die neue Gebäudehülle, deren unterschiedliche Seiten gezielt auf die Funktionen und die besonderen Qualitäten der Umgebung eingehen. Das Design wurde so entwickelt, dass die Teile zerlegt und später an anderer Stelle wiederverwendet werden können.
Unter den vorgegebenen Materialien wurden Kanthölzer, Holzbalken, Stoffplatten, Zementfaserplatten, Multiplex-Holzplatten, Schaumstoffplatten und Stahlbleche per Boot zur Baustelle gebracht. Die Studenten arbeiteten dann ausschließlich vor Ort, konzentrierten sich in Gruppen auf eine Seite der Hülle und entwickelten durch Tests und Variationen im Originalmaßstab ein Konstruktionssystem. In nur drei Tagen war der Bau abgeschlossen und die restlichen Materialien wurden zurück zum Deutschen Pavillon verschifft.
Das Design spiegelt die Bedürfnisse der örtlichen Gemeinschaft und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse im Laufe des Jahres wider. Nach hinten mit Wellbetonplatten und seitlich mit Zementfaserplatten dauerhaft geschlossen, kann die Terrasse durch abnehmbare, mit Stoffen bestückte Leichtbaurahmen vollständig zum Spielfeld hin geöffnet werden. Um in heißen Sommern eine gute Luftzirkulation im Gehege zu gewährleisten, wurde das gleiche Rahmensystem für den schmalen Streifen oben an der Betonwand verwendet. Im Inneren lenkt die weitgehend geschlossene Seitenwand den Blick auf das Spielfeld bzw. durch das Rundfenster auf den Eingang des Sportplatzes. Von außen ist diese am aufwendigsten gestaltete Seite das Gesicht des neuen Café-Bereichs, dem sich die Besucher als erstes nähern. Hier gibt es auch einen großen goldenen Spiegel, den die Sportler beim Erfrischen an den Wasserhähnen nutzen können.
Der Neubau etabliert eine zweifache Vorstellung von der Praxis des Weiterbauens statt des Ersetzens: Die Baumaterialien wurden in einem baulichen und architektonischen Nachleben wieder eingeführt (was noch mehr mögliche Nachleben ermöglichte), wodurch in einem anderen Kontext neue Bedeutungen freigesetzt wurden, während sie das Cafégebäude neu definierten im Akt der Fortführung des Bestehenden. Somit hat der verfügbarkeitsbasierte Entwurf zu einem originellen Ergebnis eines offenen architektonischen und pädagogischen Experiments geführt.
Paula Pintos